Nachhaltigkeit und Dinosaurier
22. Dezember 2021
von Michael Müller
Ich kann mich gut an den Hitzesommer 2003 erinnern: während Wochen Temperaturen von über 30 Grad und kein Regen. Damals sprachen alle von einem Jahrhundertereignis. Doch diese Jahrhundertereignisse wiederholen sich. Darum ist aktives Handeln gefragt – mit machbaren Massnahmen und einer klaren Haltung.
Seit 2010 dauern die Sommer mit wenigen Ausnahmen von Mai bis September und die Temperaturen liegen regelmässig um die 30 Grad oder darüber. Für die einen mag das ein Grund zum Jubeln sein. Andere dagegen stimmt diese Tendenz nachdenklich, so auch mich. Ich war im Sommer 2021 im Bernina-Gebiet und habe mal wieder den Morteratschgletscher gesehen. Das erste Mal war ich mit 17 dort, also vor 40 Jahren. Damals war die Gletscherzunge in meiner Erinnerung nur einen Steinwurf von der Bahnstation Morteratsch entfernt. Heute muss man gefühlte drei Tage wandern, bis man sie erreicht. Laut Wikipedia hat sich der Morteratschgletscher von 1900 bis 2017 um 2500 Meter verkürzt. Der Sommer 2021 wird mir auch wegen der Flutkatastrophe in Deutschland und wegen der zahlreichen schwersten Hagel- und Sturmgewitter in Erinnerung bleiben. Kann sich überhaupt noch jemand an «friedliche» Sommergewitter erinnern? Mein Vater sagte jeweils: «Ein Sommergewitter reinigt die Luft und der Regen ist ein Segen für die Natur.» Auch das ist bereits 40 Jahre her!
Prinzip Handeln anstatt Prinzip Hoffnung
Was genau die Ursache ist und weshalb Jahrhundertereignisse gefühlt mehrmals jährlich stattfinden, kann ich nicht erklären und weiss ich nicht. Tatsache ist aber: Wir alle spüren die Veränderung des Klimas und der Umwelt. Die Veränderungen sind da und mit ihr die spürbaren negativen Auswirkungen.
Mir fällt es zurzeit schwer, hinsichtlich der Entwicklung unseres Klimas und unserer Umwelt wirklich optimistisch in die Zukunft zu blicken. Und ich wage zu behaupten, dass ich nicht allein bin mit meiner Haltung. Ich glaube auch nicht, dass sich das Ganze irgendwie einrenkt oder irgendein cleverer Forscher schon noch rechtzeitig eine innovative Lösung findet, um das Problem in den Griff zu bekommen. Das Prinzip «Hoffnung» wird uns dieses Mal nicht die Lösung bringen.
Wie isst man einen Dinosaurier?
Daher bin ich überzeugt, dass wir uns selbst helfen müssen – mit kleinen, konkreten, handfesten Schritten. Dabei plädiere ich für ein Prinzip, das auf einer einfachen Frage basiert: «Wie isst man einen Dinosaurier?» Die Antwort lautet: «Indem man ihn in kleine Teile zerlegt!»
Konkret heisst das, dass wir uns auf das sinnvolle Machbare konzentrieren müssen, zum Beispiel: fossile Heizungen durch CO2-neutrale Heizungen ersetzen, die Haustechnikinstallationen sorgfältig bemessen und optimal regulieren, im Rahmen eines Heizungsersatzes auch gleich die Gebäudehülle wärmetechnisch sanieren, auf graue Energie und Umweltverträglichkeit achten, die richtigen Produkte und Materialien verwenden.
Mit Klimaschutz auch das Investitionsklima schützen
Die Aufzählung ist nicht abschliessend und die Liste des heute schon Machbaren ist lang. Die positive Nachricht dabei: Verschiedene Studien weisen nach, dass die Umsetzung solcher Sofortmassnahmen in vielen Fällen wertneutral und im Idealfall sogar wertvermehrend ist. Klar ist heute auch, dass wir die Kosten, die aufgrund der Klima- und Umweltsituation entstehen, in jedem Fall tragen müssen: entweder früher durch Umsetzung der Sofortmassnahmen oder später, wenn wir die Unterlassungskosten in Rechnung gestellt bekommen – z. B. in Form von CO2-Lenkungsabgaben, Kosten infolge von Naturkatastrophen und Umweltverschmutzung, nachfolgenden politischen Umwälzungen und einem daraus resultierenden deutlich schlechteren Investitionsklima (man beachte die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs).
Meine Wahrnehmung ist, dass seit einiger Zeit schon ein Umdenken stattfindet. Das zeigen die jüngsten Abstimmungsergebnisse, zum Beispiel in Zürich. Das zeigt aber auch das stark gewachsene Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen bei privaten Immobilienbesitzern, börsenkotierten Immobiliengesellschaften und regulierten Fondsgesellschaften. Ich denke, dass der Druck in Zukunft noch grösser werden wird, hauptsächlich durch die Politik, aber auch durch institutionelle Immobilieninvestoren. Ein wichtiger Marktfaktor sind dabei die Pensionskassen, die unsere Vorsorgegelder in Immobilien investieren und klare Anforderungen für Nachhaltigkeitskriterien in ihren Anlagereglementen definieren werden.
Unternehmerisch denken und Herausforderungen angehen
Mehr noch: Börsenkotierte Immobiliengesellschaften und regulierte Fondsgesellschaften, die das Thema nicht ernsthaft anpacken und ihre Fortschritte glaubhaft dokumentieren, werden kein Geld mehr erhalten für weiteres Wachstum! Zudem bin ich mir sicher, dass der Druck auf jeden Einzelnen von uns steigen wird, sein Tun und Handeln in puncto Nachhaltigkeit zu hinterfragen. Der «Leidensdruck» wird vermutlich so gross werden, dass wir unser Verhalten und einige unserer Gewohnheiten anpassen müssen – nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber ganz sicher übermorgen.
Ob das reichen wird, um die Entwicklung zu verlangsamen und die gesetzten Klimaziele für 2050 zu erreichen? Ich weiss es nicht! Sicher sind aber die Chancen, die Pariser Klimaziele zu erreichen, um ein Vielfaches grösser, wenn wir als einzelne Person und als Gesellschaft konsequent versuchen, das Machbare umzusetzen. Denn die Hoffnung, dass ein nächster Daniel Düsentrieb innovative Lösungen erfindet, die alle Probleme lösen, ist eine trügerische Hoffnung. Und die Alternative, in naher Zukunft als privilegierter Teil der Gesellschaft auf den Mars auszuwandern und die Erde sich selbst zu überlassen, ist mehr eine Dystopie als eine Utopie und erinnert stark an eine Vogel-Strauss-Politik.
Doch weggucken und sich wegducken ist für mich keine Haltung – weder als Mensch noch als Unternehmer. Darum ist mir Nachhaltigkeit wichtig! Nicht nur in diesem Blogartikel, sondern in der Entwicklung von neuen Projekten und im Dialog mit meinen Kunden.